Zwei Männer auf der Überholspur. Philipp Schiemer und Jochen Hermann gehören zur neuen Führungsspitze von Mercedes-AMG. Wir haben sie in Affalterbach zum Gespräch getroffen.
Affalterbach, im September 2020: Sie kennen und schätzen sich seit zwölf Jahren und wirken bereits auf den ersten Blick wie zwei, die Vertraute sind. Die gemeinsam viel vorhaben – und auch erreichen können: Philipp Schiemer, 56, seit dem 1. August 2020 Vorsitzender der Geschäftsführung (CEO) von Mercedes-AMG, und Jochen Hermann, 52, Chief Technical Officer (CTO). Beide führen die Geschäftsleitung von Mercedes-AMG nun in die Zukunft. Schiemer und Hermann arbeiten bereits seit Jahrzehnten für die Daimler AG. Der eine, Philipp Schiemer, ist der Vertriebsprofi, der andere, Jochen Hermann, der leidenschaftliche Techniker. Sportler sind sie beide. Vor allem Mannschaftssportler: Schiemer war lange Spielführer und Spielmacher beim Fußball, Hermann spielt noch immer regelmäßig vorne im Sturm, schießt und köpft seine Tore auf dem Fußballfeld. Schiemer, 1,84 Meter groß, trägt ein weißes Poloshirt und schwarze Sneaker. Hermann, 1,87 Meter groß, trägt ein schwarzes Poloshirt und weiße Sneaker.
Glückwunsch zur neuen Aufgabe an der Spitze von Mercedes-AMG. Seit wann interessieren Sie sich eigentlich für Sportwagen?
Philipp Schiemer (PS): Danke schön! Im Grunde begeistere ich mich schon für Sport- und Rennwagen, solange ich denken kann. Bereits als kleiner Junge, so mit zehn, zwölf Jahren, habe ich die entsprechenden Automagazine verschlungen und gesammelt. Und ich war auch ziemlich gut im Autoquartettspielen: Hubraum, Zylinder, Leistung, Länge, Gewicht, von null auf hundert in ... Ich erinnere mich noch, dass es in einem Quartettspiel den Mercedes-Benz C 111 gab. Diese Karte war damals fast unschlagbar.
Jochen Hermann (JH): Klar, Autoquartett! Habe ich früher auch viel und gerne gespielt. Das Interesse für Sportwagen war auch bei mir schon früh da. Besonders für Supersportwagen. Mit 15 habe ich mehr Automagazine gelesen, als ich es heute tue. PS und Höchstgeschwindigkeit, Aerodynamik und natürlich auch das Design, all das interessierte mich. Die Fahrdynamik ist dann auch genau mein Ding geworden, meine riesengroße Leidenschaft. Luft- und Raumfahrttechnik habe ich an der Universität Stuttgart im Grunde nur studiert, weil ich natürlich wusste: Wer das studiert, der darf mal Autos bauen. Und das war mein Ziel.
Hatten Sie Idole?
PS: Ich hatte schon als Jugendlicher sehr viele Bücher und Biografien von all den Rennlegenden gelesen. Der Argentinier Juan Manuel Fangio, der in den Anfangsjahren der Formel 1 fünf Mal Weltmeister wurde, kristallisierte sich als mein Favorit heraus. Später durfte ich ihn dann in Argentinien selbst treffen. Das war für mich ein bleibendes und schönes Erlebnis. Fangio war ein sehr nahbarer, sympathischer Typ.
JH: Schon interessant, diese Parallelität bei uns. In meiner Jugend bin ich auch mit der Formel-1 aufgewachsen – weil mein Vater mit mir am Sonntag immer die Rennen geschaut hat. Mein Idol war Formel 1-Pilot: Niki Lauda. Mit ihm hatte ich im Laufe meiner Karriere beruflich auch immer wieder Kontakt. Was mir gefiel? Er hörte konzentriert zu und war äußerst wissbegierig. Ich habe nur wenige so technikverliebte Menschen getroffen wie ihn.
Wie war es, als Sie erfuhren, dass Sie CEO und CTO der weltweit bekannten Driving-Performance-Marke werden?
JH: Ich erinnere mich noch genau: Es war an einem Samstag. Wir hatten eine Feier bei uns zu Hause, als mein Telefon klingelte. Ob ich mir vorstellen könne, Teil einer neuen Führungsspitze bei Mercedes-AMG zu werden? Klar konnte ich! Nach dem Telefonat nahm ich meine Frau zur Seite: „Du, es kam ein Anruf. Keine Sorge, nichts Schlimmes. Aber ich muss das jetzt für mich verarbeiten und bin ein paar Stunden nicht ansprechbar.“ Ich verließ unser Haus, nahm mir mein Mountainbike und fuhr einfach los. Dann erst erzählte ich meiner Frau, dass ich meinen Traumjob bei AMG bekomme.
PS: Durch den Sport habe ich eine tiefe Leidenschaft fürs Gewinnen. Ich kann zwar auch verlieren, aber mein Ehrgeiz und Selbstverständnis ist es, Sieger zu sein. An der Spitze zu stehen. Ich war bereits seit 2013 für Mercedes-Benz in Brasilien und zuständig fürs gesamte Lateinamerika-Geschäft. Das war für mich ein Highlight, ein absoluter Spitzenjob. Ich dachte, er ist der beste, den es für mich gibt. Doch als mich dann in São Paulo der Anruf mit der Frage erreichte, ob ich mir vorstellen könne, CEO von AMG zu werden, dachte ich: „Wow, klasse, es geht immer noch weiter.“ Von dieser Aufgabe traute ich mich nicht zu träumen.
Ich bin ein Teamplayer, Mannschaftskapitän und Motivator. Sehr ungeduldig und kreativ. Stillstand ist für mich kein Thema. Ich möchte immer alles verbessern - Philipp Schiemer, CEO von Mercedes-AMG.

Mercedes-AMG in die Zukunft zu führen ist sicher einer der schönsten, jedoch auch herausforderndsten Jobs der gesamten Automobilbranche. Mit welcher Haltung gehen Sie an diese Aufgabe?
JH: Als Techniker sage auch ich: Es ist mein ultimativer Traumjob, diese so selbstbewusste und starke Marke mitgestalten zu dürfen.
PS: Für mich ist es eine absolute Auszeichnung, diese Position innezuhaben. Die Verantwortung, Mercedes-AMG weiterzuentwickeln, mit Elan und voller Power voranzutreiben, ist unwahrscheinlich groß. Ich habe zwar enormen Respekt vor der Herausforderung, aber auch das Selbstbewusstsein, zu sagen: Das schaffen wir. Ja, wir kriegen das hin!
Wie wollen Sie die Stärken und vor allem auch die weltweite Begehrlichkeit nach der Marke AMG weiter ausbauen?
PS: Es gilt nun natürlich, AMG ins elektrische Zeitalter zu überführen. Wir wollen uns als die Performance Marke auch bei Elektrofahrzeugen positionieren. Einer unserer Schwerpunkte wird sicher auch sein, im Topsegment noch mehr Spitzenmodelle für Sammler und Liebhaber anzubieten. Die Nachfrage ist da. Das sehen wir beim gerade gelaunchten AMG GT Black Series. Einer steht ja draußen vor der Tür. Ein perfekter Supersportler, finde ich.
JH: Performance und Nachhaltigkeit zusammenzubringen, darum geht es uns vorrangig. Wir werden, davon bin auch ich überzeugt, immer eine Performance-Marke sein. Elektrifizierung ist keine Bedrohung, sondern eine Chance.
Gibt es in Ihren Überlegungen, wie Sie Mercedes-AMG weiterentwickeln, Unterschiede bezüglich der verschiedenen Märkte?
PS: Die Marke muss weltweit die gleiche Positionierung als reine Sportwagenmarke haben, die Produktpräferenzen jedoch können regional durchaus unterschiedlich sein. Der Zukunftsmarkt China ist sicherlich eine besondere Herausforderung und Chance, weil es dort einfach noch keine lange Historie gibt wie beispielsweise in Europa oder den USA. Mercedes-AMG in China ebenso erfolgreich zu etablieren wie auf den anderen Weltmärkten, das ist sicher eine unserer größten Aufgaben.
Erreichen Sie neue Zielgruppen, Käufer und Fans auch durch mehr Lifestyle und weniger Performance?
PS: Mercedes-AMG ist mit seinen Modellen und der Motorsport-DNA längst hervorragend positioniert in der globalen Racer-Gemeinde. Das gilt es auszubauen. Wir sehen im Lifestyle-Segment Potenzial, ebenso bei der weiblichen Zielgruppe. Hier haben wir große Chancen und auch einige Produktideen, die auf die Kombination Performance und Alltagstauglichkeit gerichtet sind.
Wie kann es Ihnen gelingen, die Begehrlichkeit Ihrer Kunden nach dem speziellen Mercedes-AMG Luxus noch stärker anzustacheln?
JH: Wir haben die technische Kompetenz, gehen keine Kompromisse ein und ermöglichen das Unmögliche.
PS: Weil wir als Unternehmen jünger sind als die Konkurrenz, sind wir auch ein Stück entwicklungsfähiger und immer gut für Überraschungen positiver Natur.
Ich sehe mich als Unruheherd voller Energie. Ich will immer das nächste Thema angehen und möglichst schnell lösen. Nichtstun kenne ich gar nicht. Auch im Urlaub nicht - Jochen Hermann, CTO von Mercedes-AMG.

Werden sich in fünf Jahren Menschen über Pferdestärken und Beschleunigungswerte unterhalten? Oder was macht dann den besonderen Reiz eines luxuriösen Sportwagens mit Renngenen aus?
PS: Die Menschen, besonders die im stark wachsenden Rennsportsegment, wollen sicher auch in fünf oder in zehn Jahren noch Spaß, Vergnügen herausragende Leistung haben. Welcher Antrieb dann dahinter steckt, das wird sich zeigen. Daran arbeiten wir.
JH: Driving Performance an sich ist bereits ein Luxusgut, das auch aus meiner vollen Überzeugung ganz sicher weiter bestehen wird.
Auf welche Dienstreise freuen Sie sich besonders?
PS: Auf China. Zwei Autostunden von Schanghai entfernt haben wir das weltweit erste und rund 1 300 Quadratmeter große AMG Experience Center mit interaktiver Erlebniszone, Rennsimulatoren, zwölf Funktions- und vier Ausstellungsbereichen eröffnet. Direkt am Zhejiang International Circuit.
JH: Ich freue mich auf ein paar Fahrzeugpräsentationen: auf die AMG Modelle der neuen S-Klasse. Und auf den einzigartigen Project ONE.
Sie trafen die legendären Gründer von AMG, Hans Werner Aufrecht und Erhard Melcher. Was bedeutet Ihnen diese Zusammenkunft?
PS: Sehr viel! Wenn die beiden in drei Jahren zu uns sagen würden, dass wir bis zu diesem Zeitpunkt schon mal einen guten Job gemacht haben, dann wäre das für mich persönlich das größte Kompliment.
JH: Ja, das wäre der Ritterschlag.
Dieses Interview entstand im September 2020 unter Einhaltung aller Corona-Sicherheitsmaßnahmen.
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